14. März 2018

Kleine Nachlese: Die AfD zerlegt

Nahezu sechs Monate ist es jetzt her, dass die AfD in den Bundestags gewählt wurde, insofern wäre es ja mal Zeit sich anzuschauen, wie sich diese so schlägt. Und liest man die deutsche Presse, so hat sich genau das, was vor den Wahlen lange angekündigt wurde, exakt bestätigt: Die AfD erweist sich als vollkommen unfähig, sie ist mit simpelsten demokratischen Regeln überfordert, sie pöbelt sich rein durch die Gegend und wird, das ist der wirklich augefälligste Punkt, permanent "zerlegt".
Es scheint die neue Losung zu sein: Gibt es einen Streitpunkt im Bundestag, kann man die Uhr danach stellen, wann der Artikel erscheint, der erklärt, welcher Abgeordnete jetzt die letzte AfD Rede wieder zerlegt hat. Jeder kann offenkundig zerlegen: Mal ist es "der jüngste Abgeordnete der CDU" (Philipp Amthor), mal ist es Wolfgang Kubicki, mal ist es Johann Saathoff und in letzter Zeit auch wird auch gerne Cem Özdemir genannt. Alle verstehen sich offenkundig sehr gut aufs Zerlegen und offensichtlich ist die AfD sehr gut darin zerlegt zu werden.


Jetzt ist es für den normalen Büger natürlich schwer zu beurteilen ob und wer jetzt genau wie zerlegt worden ist. Wer hat schon Zeit und Lust sich stundenlange Bundestagsdebatten anzuhören? Da nimmt man schnell das Urteil der informierten Presse auf, die ja auch mit einzelnen Ausschnitten ihre Aussage zu belegen sucht. Seltsam daran deucht zumindest diesen Autor eigentlich nur die Erfahrung, dass "echte Zerlegungen" etwas vergleichsweise seltenes sind, gerade in der Politik. Zerlegungen implizieren, dass man jemanden sachlich um jedes Argument gebracht hat und der Kaiser ziemlich nackig da steht. Das kommt in der Realität eher selten vor: Einfach weil viele Streitpunkte die gerade im politischen existieren, nicht unbedingt Fragen von reinen Fakten sind, sondern oftmals von Bewertungen, von Präferenzen und Einschätzungen. Selbst wenn jemand derart faktenfrei durch die Gegend läuft wie beispielsweise Claudia Roth, wird sie doch vergleichsweise selten "zerlegt", einfach deshalb weil sie sich in aller Regel hinter Emotion (Betroffenheit) und eben auch Bewertung verstecken kann und eben auch versteckt. Das dürfte bei der AfD, selbst wenn man unterstellte, dass diese ähnliche faktenfrei daherkäme, nicht viel anders sein. Insofern erscheint es einfach unwahrscheinlich, dass die AfD permanent "zerlegt" wird.
Aus diesen Überlegungen heraus macht es Sinn sich mal ein Beispiel anzusehen, wie die AfD so "zerlegt" wird. Eines der populärsten Beispiel für eine solche Zerlegung war die Debatte am 22. Februar diesen Jahres zum Thema Daniel Yücel. Der Abgeordnete Gottfried Curio hielt eine Rede und forderte den Bundestag auf zwei Äusserung von Yücel aus den vergangenen Jahren zu rügen und teilte zudem eine Reihe von Spitzen gegen die Regierung, ihr Handeln in diesem Falle und auch gegen Yücel selber aus. Es ist wohl kein Geheimnis das die Rede nicht gerade auf begeisterte Ohren traf (böse Zungen würden sagen Teile der Grünen Fraktion sind nahezu ausgerastet). 
Es gab eine Reihe von Reaktionen auf diese Rede, die zwei populärsten waren zum einen die von Wolfgang Kubicki, noch bekannter ist allerdings die Anwort von Cem Özdemir. Gerade letztere Rede führte zu der Gemeinschlagzeile, die von Dutzenden Medien in ähnlicher Form geteilt wurde, Özdemir rechne mit der AfD ab. Auch die Zerlegung wurde von diversen Zeitungen in diesem Kontext beschrieben.
Das Urteil der Presse ist eineindeutig: Die AfD hat sich (mal wieder) blamiert, und Özdemir hat die bösen Rassisten auflaufen lassen. Nun, es lohnt sich (und nicht nur ein bischen) sich beide Reden nicht durch Sekundärquellen sondern im Original anzusehen. Sie sind hier zu finden:
https://www.youtube.com/watch?v=UOoAX4lJL-Y&t=40s

Curio redet zu Anfang, Özdemirs Reaktion findet sich ab etwas Minute 30. Bevor Sie nun weiterlesen, lieber Leser, bitte ich Sie, sich die beiden Reden jetzt anzuhören (beide je knapp 6 Minuten) , denn ich möchte Ihnen keinen Bias mitgeben, bevor Sie weiterlesen.

Haben Sie sie gehört? Gut. Dann erlauben Sie mir ein paar Beobachtungen: Eigentlich(!) hätte das ganze ein totales Heimspiel für Özdemir sein müssen, denn reifer können Trauben nicht hängen. In der Sache war die Idee von Curio verloren, bevor er auch nur die Begrüssung fertig hatte. Es ist nicht Sache des deutschen Bundestages, bzw. überhaupt der deutschen Politik, die Presse zu rügen. Wenn überhaupt, dann rügt die Justiz (die das im Fall Yücel übrigens auch für einen der beiden inkriminierten Texte getan hat). Es ist nicht nur nicht Sache der Politik das zu tun, es ist erst recht nicht die Sache der Politik das zu tun, nachdem(!) die Justiz das schon getan hat. Die Sache ist abgeschlossen. Herr Yücel mag im Rahmen seiner Äußerungen ein kreuzunsympathischer Zeitgenosse sein, das geht den deutschen Bundestag schlicht nichts an, er ist nicht dafür zuständig Sympathiebekundungen auszusprechen (oder gegenteiliges).

Das ist die sachliche Seite. Dummerweise kommt diese bei Özdemir nahezu nicht vor, denn schon der Anfang seiner Rede ist nicht mehr an der Sache orientiert, sondern dient eigentlich nur als Basis, um eine möglichst große Sammlung von Verbalinjurien, Unterstellungen und Agression loszuwerden. Er erklärt die AfD zu einer Bande von Rassisten, er nennt sie die deutsche AKP, er unterstellt ihnen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, des Rechtsstaates und zum Schluss, da wirds dann sogar noch unfreiwillig komisch, meint er noch etwas Nationalismus einzusprenkeln und meint die AfD würde nicht für die deutsche Nationalmannschaft fiebern sondern für die russische (über die Absurdität wenn ein Grüner versucht über Fußballnationalismus Punkte zu machen, wäre schon ein eigener Artikel fällig).
Die ganze Rede ist von massiver Emotion getragen, man kann auch sagen, da empört sich jemand und will den Gegenüber unbedingt moralisch verdammen, wenn die Sache selber schon nicht trägt. Nahezu nichts was Özdemir in seinem Zorn von sich gibt, hat irgendetwas mit dem Antrag oder den Ausführungen von Curio zu tun, es ist praktisch alles neben der Spur (kleine Ausnahmen sind drin). Es ist eine wilde Sammlung von unbelegten Angriffen und, wie es sich für grün gehört, wird das ganze abgeschlossen vom Ansatz sich selber zum Opfer zu stilisieren. 
Gut, die Situation ist natürlich in sich unfair: Curio hatte mehrere Tage um seine Rede vorzubereiten und Özdemir gerade 20 Minuten für eine Reaktion. Deswegen war sachlich vermutlich wenig drin, und er musste "spontan" auf das zurück greifen was er sich vermutlich ebenso die letzten Tage ausgedacht hat ("Alles Rassisten und gegen Deutschland sind sie auch"). Aber eine Zerlegung ist das nun gerade nicht, auch keine Abrechnung, es ist das Äquivalent eine Stinkefingers von jemandem, der bis dato keine Zeit oder Gelegenheit hatte über die Sache nachzudenken. 
 
Jetzt kann man solche Reden natürlich gut finden. Auch Beschimpfungstiraden können durchaus einen Unterhaltungswert haben (man erinnere sich an Herbert Wehner oder Franz Josef Strauss), aber eben auch nicht mehr.

Traurig bis lächerlich dagegen ist die Reaktion der Presse, die ja ohnehin ein gewaltiges Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit hat. Man muss den Eindruck bekommen nicht ein einziger von denjenigen, die darüber berichten, hat die Reden überhaupt gesehen (immerhin eine Anforderung fast 15 Minuten der eigenen Zeit zu opfern). Man muss schon die Frage stellen ob das die richtige Strategie ist, um gegen den Kampfbegriff Lügenpresse glaubwürdig vorzugehen. Klar, der Abonnent vom neuen Süddeutschland, dem Spargel oder dem Kinderstürmer aus Kreuzberg, macht das nichts aus, im Gegenteil, er fühlt sich ohnehin in dem bestätigt was ihm seine Informationsquelle bereits vor der Wahl erzählt hat. Aber ob es gerade für Blätter, die ohnehin existentbedroht sind, weil ihnen die Leser davonlaufen, wie FAZ, Welt oder Focus so eine gute Idee ist, die Strategie von bento und Co. zu übernehmen ("erziehe deine Leser richtig, nachprüfen kanns ja eh keiner""), das wäre vielleicht doch mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

Ich für meinen Teil bin jetzt etwas gespaltener als vorher. Ich kann mir schon vorstellen, dass da in der AfD nicht gerade wenige Politclowns und Amateure in der Führung sitzen (der unprofessionelle Umgang mit dem Austritt von Frau Petry ist mir nur allzugut in Erinnerung). Und ich kann mir auch vorstellen, dass sich der eine oder andere da auch mal kräftig blamieren wird. Das dumme ist: Ich müsst es jedes mal nachprüfen. Denn ich habe mir inzwischen ein propehtisches Talent zugelegt: Die nächste Rede der AfD wird wieder zerlegt werden. Sie wird wieder entzaubert, entlarvt und man wird wieder mit ihr "abrechnen". Ist das nicht schön, dass wir in Deutschland die besten Medien der Welt haben?
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Llarian

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