5. September 2017

"Die schaurige Moritat von Rebekka, die mit den Türen knallte"



A trick that everyone abhors
In little girls is slamming doors.
A wealthy banker's little daughter
Who lived in Palace Green, Bayswater
(By name Rebecca Offendort),
Was given to this furious sport.

She would deliberately go
And slam the door like billy-o!
To make her uncle Jacob start.
She was not really bad at heart,
But only rather rude and wild;
She was an aggravating child...

It happened that a marble bust
Of Abraham was standing just
Above the door this little lamb
Had carefully prepared to slam,
And down it came! It knocked her flat!
It laid her out! She looked like that.

Her funeral sermon (which was long
And followed by a sacred song)
Mentioned her virtues, it is true,
But dwelt upon her vices too,
And showed the deadful end of one
Who goes and slams the door for fun.

The children who were brought to hear
The awful tale from far and near
Were much impressed, and inly swore
They never more would slam the door,
-- As often they had done before. 

- Hilaire Belloc, "Rebecca, Who Slammed Doors For Fun And Perished Miserably" (1907)


Es wird wohl jedermann mißfallen
Wenn kleine Mädchen Türen knallen.
Ein reiches Bankierstöchterlein
- sie war in Bayswater daheim -
(und hieß Rebecca Offendort),
die liebte diesen Zimmersport.

Sie kam daher in aller Ruh'
und zimmerte die Türen zu,
daß Onkel Jakob schwer erschrickt.
Sie war nicht wirklich bös gestrickt.
Nur leider etwas ungestüm
Ein rechtes Blagen-Ungetüm...

Nun hatt' ein Marmorbüstchen dort
von Abraham auf einem Bord
über der Tür, die dieses Schätzchen
für diesen Spaß erkor, sein Plätzchen.
Das kam mit Schwung herabgekracht
und hat sie einfach plattgemacht.

Die Trauerpredigt (sie war lang
und endete mit frommem Sang)
strich ihre Tugend zwar heraus
doch ließ sie nicht die Sünden aus,
und zeigte, wie die Kinder enden
die ihre Kraft darauf verschwenden.

Von nah und fern brachte man Gören
sich dies Exempel anzuhören.
Und schwer beeindruckt schworen alle:
wir lassen jetzt das Türgeknalle.
(Bislang war's ihnen schwergefallen.)

(U.E.)

Hilaire Belloc (1870-1953) ist heute, wenn überhaupt, der Nachwelt nur noch als weniger kongeniale Hälfte seines Geistes- wie Leibesumfangsverwandten G. K. Chesterton im Gedächtnis - als "Chesterbelloc", nach der Wendung, die George Bernard Shaw 1918 für dieses Dioskurenpaar prägte, das in allen Punkten alles verkörperte, was seiner Natur entgegengesetzt war: Katholizismus (noch dazu in der verschärften Variante des Konvertitentums), Engländertum statt Internationalismus, Traditionalismus in fokussierter Form statt der vagen Illusionen eines Sozialismus der Fabian Society, nicht zuletzt ein natürlicher Wortwitz und ein Sinn für die Paradoxien und Widersprüche des gelebten Lebens. (Wer sich einmal durch die bemühten Aphorismen und humorfreien Paradoxien etwa in The Intelligent Woman's Guide to Socialism oder den Appendix zu Back to Methuselah gequält hat, weiß solche Qualitäten zu schätzen, auch wenn Chestertons Witz ebenso von jedem Realitätsbezug freigestellt ist wie der seines Widerparts.) Von Bellocs gut 150 Büchern, zwischen 1896 und 1951 publiziert, dürften fast alle ein Opfer der "Furie des Verschwindens" (H.M.Enzensberger) geworden sein. Eine kleine Ausnahme bilden seine Verse - nicht die Unmengen politischer Tagesgedichte (auch hier hat Chesterton einen Heimvorteil: Gedichte wie etwa "Lepanto" dürften, ungeachtet ihrer absoluten politunkorrekten Zeitgeistinopportunität, wegen des mitreißenden Schwungs ihrer Zeilen auch die nächsten Jahrhunderte besenschwingenden Puritanertums, egal ob feminärrisch oder im Zeichen des Halbmonds, unbeschadet überstehen) - sondern die Repliken und Wiederaufnahmen der mahnenden Moritaten an fromme Kinder, deren unübertroffenes und auch in England rezipiertes Vorbild Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter darstellt. Die 11 Cautionary Tales for Children von 1907, denen 1930 eine zweite Lieferung unter dem Titel New Cautionary Tales for Children folgte. Das viktorianische Zeitalter hatte keinen Mangel an schaudervollen Moritaten mitsamt frömmelnder Moral - Bellocs Verse gehören schon dem Geist des darauf folgenden Edwardian Age an (das lange vor dem Dahintritt Königin Victorias 1901 beginnt und mit den sarkastischen Märchen Oscar Wildes bereits in voller Blüte steht), weil die schaudervolle Moralität in einer Weise überspitzt und durch Zynismus konterkariert wird, die dergleichen erst zu Klassikern der Jugendliteratur werden läßt. Zu den ersten Büchern Bellocs gehörte The Bad Child's Book of Beasts, 1896 mit Illustrationen von Basil Temple Blackwood (1870-1917) erschienen, der auch die Cautionary Tales bebilderte. Apropos Bebilderung von Schreckvisionen: das viktorianische Zeitalter, genauer: seine Schlußphase, bildet den Auftakt der großen Tradition englischer Buchillustrationen, zumal von Kinder- und Jugendbüchern, die erst in den 1950er/1960er Jahren ihr Ende findet: angefangen von John Tenniels Bebilderung von Lewis Carrolls beiden "Alice"-Büchern und der "Jagd auf den Schnark" über die Klassiker von Rudyard Kipling und E. Nesbit über E.H.Shepards Illustrationen für "Winnie-the-Pooh" und "The Wind in the Willows" bis hin zur Rosemary Sutcliffs historischen Jugendromanen und C.S.Lewis' Narnia-Büchern. Erstaunlich bleibt aber, wie in der Auftaktphase diese Zeichner keinerlei Bedenken hatten, Monstren, Ausgeburten des schieren Schreckens auf Papier zu bannen, die nach jedem Dafürhalten, selbst weniger dünnhäutiger Betrachter - von heutigen Schneeflöckchen-Seelchen einmal ganz abgesehen - für kindliche Gemüter ein reines Gift darstellen müßten. Tenniels "Jabberwock" aus dem zweiten "Alice"-Buch von 1872 würde man, auch als erwachsener Zeitgenosse, recht ungern im nächtlichen Kopftheater begegnen. Und ein Gleiches gilt für die Träumerei zum heiligen Abend, der der Chefzeichner des "Punch, or The London Charivari" und späterer Verfasser des Romans "Trilby" (1891), etwa zur gleichen Zeit Gestalt verlieh.



Gegenüber solcher Undomestiziertheit des Viszeralen muten die gut 60 Illustrationen für die Cautionary Tales, die der kongeniale, nachgeborene Figurator viktorianischer Steifhütigkeit, quergestreifter Troddel-Chaiselongues und sanften Zynismus, Edward Gorey (1925-2000) angefertigt hat, die 2002 aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden, allerdings wie ein Ausbund an Harmlosigkeit an. 



U.E.
© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.