4. Juni 2012

Zettels Meckerecke: Quietschende Töne. Juli Zeh und Ilija Trojanow tuten gegen den Aufruf der Autoren zum Urheberrecht

Manchmal dauert es ein wenig, bis, nachdem einer laut getutet hat, andere ins selbe Horn stoßen.

Am 11. Mai schrieb Georg Diez in "Spiegel-Online":
1500 Autoren protestieren. Aber diese 1500 Autoren protestieren nicht gegen die Verletzung der Menschenrechte in China. Diese 1500 Autoren protestieren nicht gegen die Demokratie­vernichtungs­maschine EU. Und diese 1500 Autoren protestieren auch nicht gegen eine Wirtschafts- und Wachstumspolitik, die die Welt in den Untergang treibt, wie es gerade der Club of Rome beschrieben hat. Nein, wenn 1500 Autoren protestieren, dann denken sie an ihr eigenes Frühstück.
Gestern war in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (F.A.S) zu lesen:
Rund sechstausend Kulturschaffende versammeln sich zur wahrscheinlich größten intellektuellen Unter­schriften­aktion aller Zeiten. Geht es um die Rettung Europas? Nachhaltiges Wirtschaften? Oder die Verteidigung der Bürgerrechte? Nein, es geht darum, die vermeintliche Abschaffung des Urheberrechts zu verhindern. Das also ist der gemeinsame Nenner, auf den sich das politische Bewusstsein der deutschen Intellektuellen bringen lässt: die Angst, durch das Internet finanzielle Einbußen zu erleiden.
Aus den 1500 sind inzwischen 6000 geworden, die den Aufruf der Autoren unterzeichnet haben (siehe Aufgeblasener Georg Diez. Ein Wutbürger gegen 1500 Autoren; ZR vom 11. 5. 2012). Ansonsten: Zwei Menschen, ein Gedanke. Oder vielmehr drei Menschen, ein Gedanke; denn dieser, sagen wir, geklonte Gedanke wird jetzt von einem Autorenduo geäußert, Juli Zeh und Ilija Trojanow.

In dieser nichtalphabetischen Reihenfolge sind die beiden als Autoren des Artikels "Was die Autoren umtreibt" genannt; und im Nachspann erfährt man:
Der letzte Roman der Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh erschien 2009 und erzählte von einem Bürgerüberwachungsstaat, der selbst das Rauchen einer Zigarette ahndet. Zusammen mit dem Schriftsteller, Verleger und Ilija Trojanow [sic] befasste sie sich weiter mit dem Thema Sicherheitswahn und Überwachung, 2009 veröffentlichten sie gemeinsam "Angriff auf die Freiheit".
Nützliche Informationen. Eine noch nützlichere aber fehlt: Beide Autoren gehören zu den Unterstützern der Piratenpartei.

Nach dem Wahlsieg dieser Partei in Berlin hat Zeh einen nachgerade hymnischen Artikel im "SZ-Magazin" verfaßt, in dem sie schreibt:
Die Piraten sind keine Internet-, sondern eine Freiheitspartei. Ihr grundlegendes Anliegen besteht in einer Rückkehr zu humanistischen Prinzipien. (...) Sie sind die einzige deutsche Partei, die "Freiheit" nicht nur als idealistische Utopie oder ökonomisches Programm, sondern als ganz reales Organisationsprinzip behandelt. (...)

Flatrates für den öffentlichen Nahverkehr, bedingungsloses Grundeinkommen, Legalisierung von Drogen, eine echte Trennung von Kirche und Staat, die Rückkehr zum Prinzip kostenfreier Bildung, das Respektieren von Freiheitsrechten auch in Zeiten des Anti-Terror-Kampfes, mehr Teilhabe am demokratischen Prozess – das alles sind Forderungen, die sich direkt aus einem humanistisch geprägten Freiheitsverständnis ergeben und die sich jetzt schon teilweise in Bundes- und Landesprogrammen der Piratenpartei finden.
Kurzum, Juli Zeh sieht in den Piraten die Partei der Zukunft: "Ohne Zweifel: Die Piraten haben das Zeug dazu, die neue sozialliberale Partei Deutschlands zu werden".

Nicht weniger eindeutig hat sich Koautor Trojanow zu der Partei "Die Piraten" bekannt, und zwar schon zur Bundestags­wahl von 2009 in der "Tageszeitung". Er ist also ein Unterstützer der ersten Stunde; denn damals kamen die Piraten auf bundesweit gerade einmal 847.870 Stimmen, genau 2,0 Prozent.



Dies sollte man wissen, um den Artikel in der F.A.S. richtig einzuordnen. Denn er ist eine einzige, wenn auch eine wortreiche Verteidigung der Position der "Piraten" zum Urheberrecht; auch wenn sich die Autoren an einer Stelle von diesen distanzieren.

Wie können zwei Schriftsteller, die doch selbst vom Verkauf ihrer Texte leben, sich gegen einen Aufruf zum Schutz des Urheberrechts wenden? Sie argumentieren wie folgt:

Erstens könnten die meisten freiberuflichen Autoren ohnehin nicht vom Verkauf ihrer Bücher leben. Sondern sie bezögen ihre Einkünfte wesentlich aus einem
Subventionssystem, das aus Literaturpreisen (etwa 1500), Arbeits- und Aufenthaltsstipendien, Sozial­leistungen (Künstlersozialkasse), Auftragsarbeiten von Theatern und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, Poetik­vorlesungen und Gast­professuren der Universi­täten sowie den weit verbreiteten Lesungen besteht, die meist ebenfalls von der öffentlichen Hand oder Stiftungen gefördert werden.
Zweitens werde in dem Aufruf der Autoren der "klassische Interessengegensatz 'Autor-Verlag'" auf die "Beziehung 'Autor-Leser' verlagert". Das sei ungefähr so, als "wollte ein Fließbandarbeiter bei Opel sein Recht auf Bezahlung gegen die Autokäufer verteidigen". Der Aufruf vertrete die Interessen der Verwerter, die aber mitnichten dieselben seien wie diejenigen der Autoren; vielmehr herrsche zwischen diesen beiden Seiten ein "Arbeitskampf".

Als Drittes führen die Autoren die üblichen Argumente ins Feld, was das Urheberrecht im Internet angeht: Eine Überwachung im Internet könne mit dem "Schutz des Urheberrechts" begründet werden. Würden E-Books mit einem Kopierschutz belegt, dann werde illegal kopiert. Der
Preis eines E-Books in Höhe von 18 Euro und mehr mag kostendeckend sein - für eine mit Kopierschutz belegte Datei, die nur auf bestimmten Lesegeräten eingeschränkt abrufbar ist, könnte er als zu hoch empfunden werden. Zahlungswillige Leser werden durch eine schwer zu vermittelnde Preisgestaltung tendenziell zum illegalen Download getrieben.



Das sind arg schwache Argumente, alle drei.

Was das dritte angeht: Der Preis für E-Books ist in Deutschland in der Tat gegenwärtig zu hoch. Der Markt wird sich hier anpassen, mit der wachsenden Verbreitung von E-Books. Wie überall wird auch hier der Preis sinken, wenn der Massenabsatz beginnt. Aber das ist erkennbar doch gerade ein Argument für die Aufrechterhaltung des Urheberrechts. Denn nur dann, wenn die Verlage genug E-Books verkaufen können, haben sie die Möglichkeit, die Preise zu senken.

Im Übrigen ist - damit sind wir bei dem zweiten Argument - das Urheberrecht ja nicht an den Vertriebsweg über einen Verlag gebunden. Zeh und Trojanowski werfen Nebelkerzen, wenn sie den "klassischen Interessengegensatz 'Autor-Verlag'" in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellen und den Unterzeichnern des Aufrufs vorwerfen, daß sie einen "fremden Karren ziehen", nämlich den der "Content-Mafia".

Diese mag ihren eigenen Karren ziehen. Für die Autoren geht es darum, daß ihnen ihr geistiges Eigentum nicht gestohlen wird, sondern daß sie es verkaufen können; so, wie jeder Produzent sein Produkt verkaufen will und ihm das Rechtssystem dies auch ermöglicht. Auf welchem Weg das geschieht, zu welchem Preis - das ist eine ganz andere Frage. Cora Stephan hat das kürzlich in "Welt-Online" sehr instruktiv dargelegt (siehe Urheberrecht und Mafiamethoden; ZR vom 16. 5. 2012).

Und der Umstand, daß viele Autoren nicht allein vom Verkauf ihrer Bücher leben können? Ja, was ist denn das für ein Argument? Wenn jemand ohnehin schlecht bezahlt wird, dann kann man ihm diese Einkünfte ebensogut auch wegnehmen? Ist es das, was die beiden Autoren uns sagen wollen?

Natürlich wäre es schön, wenn jeder Autor allein vom Verkauf seiner Werke leben könnte. Aber das ist auf einem freien Markt nun einmal nicht möglich; denn es ist der Käufer, der über die Einnahmen des Autors entscheidet, indem er dessen Buch kauft oder eben nicht kauft.

Daß viele Autoren gewissermaßen Aufstocker sind, die sich ihr Einkommen deshalb auch auf andere Weise - Arno Schmidt nannte das seine "Brotarbeiten" - verdienen müssen, ist bedauerlich. Aber ihnen deshalb den Grundstock aus dem Verkauf ihrer Arbeiten wegzunehmen wäre eine absurde, eine nachgerade zynische Konsequenz aus diesem Zustand.

Kein überzeugendes Argument also in diesem Artikel des Autorengespanns Zeh und Trojanow. Sie stießen ins Horn von Georg Diez, aber heraus purzelten auch hier nur quietschende Töne.­
Zettel



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